Das Ende vom Inbound-Marketing, wie wir es kennen
Zuletzt aktualisiert am 19. November 2025 um 08:30 Uhr.Seit zwei Jahren blicke ich wöchentlich auf mein Marketing-Dashboard in HubSpot. Der gesamte Funnel liegt vor mir – angefangen bei SEO, Blogartikeln, Landingpages und E-Mails über Newsletter bis hin zum CRM. Und seit zwei Jahren frage ich mich: Wie lange funktioniert HubSpots Inbound-Marketing-Ansatz und der Glaube an eine halbwegs automatisierte Neukundengewinnung eigentlich noch – vor allem dann, wenn man keine Inbound-Marketing-Software verkauft, sondern sie selbst für seine Zwecke betreibt?

Marketing für B2B-Dienstleister
Wir verkaufen keine Marketing-Software, sondern Dienstleistungen. Unsere Zielgruppe sind Abteilungsleiter, Bereichsleiter oder Geschäftsführer in Unternehmen mit einem Jahresumsatz von über 500 Millionen Euro – also die klassischen mittelständischen Konzerne in Deutschland.
Wenn ich mir jedoch unsere Mailingliste ansehe, finde ich dort vor allem Menschen, die sich für Weiterbildung interessieren: Studenten, Junior-Marketing-Manager oder Einsteiger, die wissen wollen, wie man eine SEO-Analyse erstellt oder eine Persona entwickelt.
Das ist nachvollziehbar und in gewisser Weise auch positiv. Denn es stärkt unsere Autorität: Wir entwickeln Strategien für den digitalen Raum, also sollten wir zeigen, was wir können. Unsere Website mit all ihren Inhalten ist wie ein gut vorbereitetes Zuhause zum Housewarming: Wenn potenzielle Kunden unsere Website besuchen, sollten sie denken:
„Wow, die wissen, was sie tun und das machen sie schon sehr lange – check! Warum also nicht anfragen?“
Aber das ist nur die halbe Wahrheit.
Der teure zweite Schritt: Marketing Automation
Der zweite Teil des Inbound-Marketings besteht darin, Besucher zu qualifizieren. Das bedeutet Marketing Automation – und das ist teuer. Wer eine größere Menge an Leads hat, investiert schnell über 10.000 Euro pro Jahr in Lizenzen.
Das Prinzip ist bekannt:
- Sie schreiben Blogposts.
- Jemand liest sie.
- Vielleicht abonniert er Ihren Newsletter.
- Sie senden weitere Mails oder bieten ein Whitepaper zum Download an.
- Und dann haben Sie sie – die „qualifizierten“ Leads mit Namen, E-Mail und Position im Unternehmen.
- Doch in der Realität zeigt sich: Diese Leads sind oft nicht die richtigen.
Sie sind Marketing-Mitarbeiter ohne ausreichendes Budget oder Entscheidungskompetenz. Vielleicht recherchieren sie für ihre Vorgesetzten, aber sie sind nicht die Käufer.
Ergebnis: Ein langer Kaufprozess über viele Monate und ein teures Automationssystem für unqualifizierte Leads.
Falsche Inhalte? Falsche Zielgruppe? Nein – falscher Kanal
Man könnte jetzt sagen: „Dann schreiben Sie halt andere Blogposts, andere Themen, mehr Opinion Pieces.“
Meine Erfahrung ist: Es klickt noch weniger.
Denn der Alltag unserer eigentlichen Zielgruppe sieht anders aus: Meetings, Interviews, Reports fürs Top-Management, Excel-Tabellen, Präsentationen, Strategiepapiere. Nichts davon hat direkt mit dem Marketing-Fach selbst zu tun. Und wenn diese Person abends nach Hause geht, liest sie sicher keine Blogposts über Content-Strategie.
Wo sich Entscheider wirklich informieren
Also frage ich mich: Wo beziehen unsere Zielgruppen ihre Fachinformationen?
- Aus Fachmagazinen, online oder gedruckt?
- Aus Branchen-Newslettern?
- Oder aus ihrem LinkedIn-Feed – ernsthaft?
- Vielleicht auch über ihre Mitarbeiter, die wiederum unsere Blogposts lesen?
Ich vermute, die Antwort liegt genau dort: Die Entscheider hören auf ihre Mitarbeiter. Sie lesen die Inhalte, theoretisch, denn sie sind längst abgeschreckt von Mailinglisten. Was nun? Doch wieder LinkedIn?
Die neue Autorität: Weniger Reichweite, mehr Relevanz
LinkedIn hat in den letzten Jahren alles dafür getan, seine Autorität in der Business-Kommunikation zu verspielen – zunächst mit überbordender Werbung und zuletzt mit schlecht gemachten KI-Experimenten. Genau denselben Fehler, den Google vor einigen Jahren gemacht hat. Und so wie Google heute gegen neue Anbieter wie Perplexity kämpft, die inzwischen sogar ihren eigenen Browser haben, wird LinkedIn ein ähnliches Schicksal ereilen. Ich glaube nicht, dass LinkedIn in Zukunft einen relevanten Return liefert.
Was kommt also als Nächstes?
Vielleicht Substack. Weniger Publikum, weniger Lärm, mehr Signal. Das könnte für die nächsten fünf bis zehn Jahre interessant werden. Ich hatte kurz auf Reddit gehofft, aber bei all dem Wachstum und den Erwartungen daran ist Reddit zu einem der chaotischsten Orte im Internet geworden.
Es wird ganz anders: Wie ich kürzlich in einem Beitrag geschrieben habe, glaube ich an die Rückkehr der Verlage – insbesondere der Print-Verlage. Warum? Weil meine Zielgruppe heute vom LinkedIn Feed genervt ist, für Blogs keine Zeit hat und in E-Mails, die von n8n-Workflows (Spam in neuen Kleidern) versendet werden, ertrinkt.
Und dann passiert Folgendes:
Der Manager läuft durchs Vorzimmer, greift zu einer Ausgabe von Werben & Verkaufen, sieht dort Ihr freundliches Gesicht, liest eine gute Geschichte und erinnert sich daran, wenn die nächste Pitch-Shortlist erstellt wird.
Gerrit Grunert
Gerrit Grunert ist Gründer und CEO von Crispy Content®. 2019 veröffentlichter er das bei Springer Gabler erschienene Standard-Werk "Methodisches Content Marketing" sowie die Online-Kurs-Serie "Making Content". Privat ist Gerrit ein leidenschaftlicher Gitarren-Sammler, liest gern Bücher von Stefan Zweig und hört Musik von vorgestern.
